Freitag, der Dreizehnte - Engel des Todes
Engel des Todes
(Eine Geschichte aus dem Buch „Unheimliche Geschichten“
https://www.amazon.de/Unheimliche-Geschichten-Christine-Erdic/dp/1093338...)
Lara sah nervös auf den Kalender. Freitag der Dreizehnte! Wenn dieser Tag nur erst hinter ihr liegen würde. Dass das Vorstellungsgespräch bei der bekannten pharmazeutischen Firma aber auch ausgerechnet heute stattfinden musste! Nach langem Überlegen hatte sie sich für ein dunkelblaues Kostüm entschieden, sie konnte sich darin immer noch sehen lassen. Inzwischen kamen ihr jedoch Zweifel bezüglich ihres Outfits. Sie hatte die 40 längst überschritten und eine erfolgreiche Karriere in der Forschung hinter sich, ihre Zeugnisse und ihr Ruf waren makellos. Der kleine Vorfall mit den Tabletten bei den freiwilligen Testpersonen tat dem ganzen keinen Abbruch. So etwas wurde ohnehin erfolgreich vertuscht und gelang nur selten an die Öffentlichkeit. Dennoch hatte sie daraufhin beschlossen, ihren Arbeitsplatz zu wechseln, denn die Albträume wollten nicht enden. Jenes verzerrte Gesicht kehrte Nacht für Nacht bei ihr ein.
Mit zitternden Händen griff sie nach der Kaffeekanne.
„Au, verflixt!“ Heiß ergoss sich der Strahl über ihre weiße Bluse und hinterließ hässliche braune Spuren. Lara eilte ins Schlafzimmer, um sich umzuziehen. Seufzend tauschte sie den Rock, der auch etwas abbekommen hatte, mit einer schwarzen Hose und ersetzte die verschmutzte Bluse durch eine hellblaue. Zum Frühstücken blieb ihr nun leider keine Zeit mehr. Schnell ergriff sie ihre Tasche mit den Unterlagen und verließ im Laufschritt das Haus. Der rote BMW wartete schon fahrbereit vor der Tür.
Mit fahrigen Bewegungen ordnete sie vor dem Autospiegel ihr kastanienbraunes lockiges Haar und konzentrierte sich dann wieder auf den Verkehr. Verdammte Ampeln! Sie hatte voll die rote Welle erwischt! Ruckartig trat sie auf die Bremse. Das letzte, was sie hörte, war Hupen und danach ein ohrenbetäubender Knall. Dann verlor sie das Bewusstsein.
Lara konnte sich nicht bewegen. Zudem war alles undeutlich, verschwommen und in ihren Ohren summte es.
„Frau Weber, wie fühlen wir uns heute? Sie haben lange geschlafen. Aber nun geht es langsam bergauf.“ Die freundliche Stimme des Arztes drang wie durch einen Schleier zu ihr. Mühsam versuchte sie den Kopf zu drehen, es schmerzte höllisch.
„Wo bin ich?“, murmelte sie.
„Im Krankenhaus. Können Sie sich nicht erinnern? Sie hatten einen Autounfall …“
„Was ist mit meinen Armen und Beinen? Ich spüre sie nicht mehr.“ Entsetzt sah Lara den Arzt an.
„Frau Weber, Sie müssen jetzt ganz tapfer sein. Durch den Unfall wurde vermutlich Ihr Rückenmark verletzt. Es liegt eine Lähmung vor. Ob diese bleibend oder vorübergehend ist werden die CT- und MRT- Ergebnisse zeigen.“
Langsam rollten die Tränen über Laras Gesicht.
Mit der Dunkelheit der Nacht kamen die Albträume zurück. Dunkle Augen in einem ausgemergelten, gelblichen Gesicht.
„Ich kann das Medikament nicht mehr nehmen.“
„Wir hatten eine Abmachung, Frau Fernandes. Noch drei Tage, dann nehme ich Sie aus dem Programm.“
Die Frau war noch jung, Mutter dreier Kinder. Und sie brauchte das Geld so dringend. Doch ihre Leber verkraftete das Testmittel nicht. Noch vor Ablauf der drei Tage brach sie auf der Straße zusammen und verstarb kurz darauf im Krankenhaus.
Traurige Augen sahen sie an.
„Was ist aus meinen Kindern geworden?“ Lara wusste es nicht. Maria Fernandes schüttelte den Kopf.
„Sie sind ganz alleine. Es ist alles deine Schuld.“ Deine Schuld, Deine Schuld ... hallte es in ihr nach. Ach, könnte man doch die Vergangenheit ungeschehen machen.
Dr. Hartmann saß grübelnd vor Laras Untersuchungsergebnissen.
„Ich verstehe diese Lähmungserscheinungen nicht. Die Aufnahmen zeigen, dass das Rückenmark unversehrt ist.“
„Vielleicht wurden sie durch den Schock ausgelöst und sind rein psychosomatischer Art“, überlegte der junge Assistenzarzt an seiner Seite.
„Frau Weber kann sich noch immer nicht bewegen. Jetzt ist fast eine Woche vergangen seit dem Unfall. Sie spricht auf keine Therapie an.“
Maria kam jetzt jede Nacht.
„Ist es nicht seltsam, dass ich im gleichen Krankenhaus verstorben bin, in dem auch du nun sterben wirst?“ Sie lächelte traurig.
„Ich werde nicht sterben. Die Ärzte sagen, ich bin körperlich völlig gesund“, flüsterte Lara.
„Warum stehst du dann nicht auf und gehst? Warum bist du immer noch hier?“ Höhnisch sah die junge Frau sie mit ihren dunklen Augen an. Ein Messer blitzte vor ihr auf. Dann spürte sie einen brennenden Schmerz.
„Um Himmels willen! Wie haben Sie das gemacht? Sie sagten mir doch, Sie können Ihre Arme nicht bewegen!“ Dr. Hartmann blickte entsetzt auf das blutüberströmte Gesicht seiner Patientin. Ein langer Schnitt verunstaltete das einst schöne Gesicht von der linken Augenbraue bis zum Kinn. Der schrille Schrei hatte die Nachtschwester alarmiert, die sofort Dr. Hartmann zur Hilfe rief, der gerade Notdienst hatte.
„Schwester Ingeburg, hatte jemand die Möglichkeit, das Zimmer der Patientin ungesehen zu betreten?“ Die Schwester schüttelte ratlos den Kopf.
„Nicht um diese Uhrzeit. Da kommt niemand so einfach hier rein. Und - Frau Weber hatte noch nie Besuch …“
Fragend sah der Arzt Lara an. Doch die blickte starr zur Decke und murmelte nur:
„Die Toten werden nicht ruhen, ehe ihre Rache erfüllt ist.“
Wenn das so weiter ging, würde man die Psychiatrie hinzuziehen müssen.
Sie kam wieder, auch in den Nächten darauf. Lara konnte die Klingel nicht erreichen, sie lag wie gelähmt in ihrem Bett, während Maria ihrem Opfer kleine Wunden zufügte, die sich schmerzhaft in dessen Körper brannten. Dr. Hartmann hatte sich inzwischen mit der Psychiatrie in Verbindung gesetzt, man erwog ernsthaft eine Verlegung der Patientin.
„Sie werden dich in eine Nervenheilanstalt bringen, in die geschlossene Abteilung“, boshaft sah Maria Lara in die Augen. Sie trug heute eine Schwesterntracht.
„Das wollen wir doch nicht, oder? Ich hatte immer Angst vor verwirrten Seelen, sie haben etwas Finsteres und Unheimliches an sich. Es wäre zu schade, wenn ich dich dann gar nicht mehr besuchen könnte.“ Panisch sah die gelähmte Frau auf die Spritze in der Hand der anderen.
„Was hast du vor?“
Mit einem teuflischen Grinsen stach Maria ihr die Nadel in den Oberarm.
„Wie ich hörte, ist das ein Stoff, der noch nicht freigegeben ist. Du darfst ihn als erste ausprobieren. Wenn er dir bekommt, experimentieren wir noch ein wenig weiter. Das ist doch dein Arbeitsbereich, nicht wahr? Nur, dass du diesmal die Testperson bist. Und wenn du es nicht überstehen solltest - dann auf Wiedersehen in der Hölle!“
„Wie in drei Teufels Namen ist die Patientin an die Spritze gekommen? Das Mittel, das sie sich gespritzt hat oder das ihr verabreicht wurde, ist noch nicht freigegeben. Es befand sich auch nicht in unserer Klinik. Das ist doch ganz unglaublich! Ein Skandal! Ich werde das ganze Personal überprüfen. Und wehe, ich finde was!“ Der Arzt war außer sich.
„Wer hatte Nachtdienst?“ Eine kleine Schwester mit kalkweißem Gesicht hob zögernd die Hand.
„Schwester Ruth, ist Ihnen irgendetwas aufgefallen?“ Die Angeredete senkte den Blick.
„Als ich ins Zimmer trat, war es eiskalt darin. Die Patientin sagte etwas …“
„Ja, was denn?“ Ungeduldig sah Dr. Hartmann sie an.
„Einen Namen - Maria Fernandes.“
Lara Webers Beerdigung fand eine Woche später statt. Trotz ihrer Verdienste in der Forschung war es eine sehr kleine Trauergemeinde, die sich an diesem ungemütlichen Regentag auf dem Friedhof einfand. Schnell zerstreute sie sich wieder, niemand wollte sich länger als nötig dem eisig kalten Wind aussetzen. Nur eine zierliche Frau mit einem schwarzen Tuch über den langen dunklen Haaren blieb noch eine Zeit lang am frisch zugeschütteten Grab stehen und legte eine schwarze Rose darauf nieder. Dann nahm sie den Weg Richtung Kapelle. In Gedanken versunken sah der Pfarrer ihr hinterher. Vielleicht hatte die Verstorbene ja doch eine gute Freundin gehabt. Der Geistliche wünschte es ihr von Herzen. Nichts war schlimmer, als wenn niemand um einen trauerte. Plötzlich schien sich die Fremde förmlich in Luft aufgelöst zu haben. Fröstelnd zog Pfarrer Braun die Schultern hoch und machte sich auf den Weg ins Gemeindehaus, wo ein heißer Kaffee auf ihn wartete.
©byChristine Erdic
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Die deutsche Buchautorin Christine Erdic lebt zur Zeit hauptsächlich in der Türkei.
Beruflich unterrichtet sie in der Türkei Deutsch für Schüler (Nachhilfe), sie gab
Sprachtraining an der Uni und machte Übersetzungen für türkische Zeitungen.
Mehr Infos unter Meine Bücher- und Koboldecke
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