Leseprobe aus „Mitgefühlt“ von Bruno Moebius
Verfasser: Kummer on Sunday, 5 April 2020Ich ließ mich rücklings auf das breite Bett fallen und stieß die Luft aus, bis der letzte Rest an verbrauchtem Atem meine Lungen verlassen hatte. Ich hatte gewusst, dass es schrecklich sein würde, aber nicht, wie schrecklich. Es war nicht die erste Katastrophe, in deren Sog ich mit Opfern, Hinterbliebenen und sonstigen Leidtragenden konfrontiert worden war, doch diesmal nahm es mich ärger mit als je zuvor.
Man meint, dass Journalisten mit den Jahren immer abgebrühter werden, ähnlich wie Notfallärzte, Polizisten, Feuerwehrleute oder Rotkreuzhelfer, doch an manches gewöhnt man sich nie und ich merkte soeben, dass ich mich nicht nur nicht daran gewöhnt hatte, sondern sogar noch empfindlicher geworden war.
Lag es daran, dass ich selbst eine schwere Zeit hinter mir hatte? Oder lag es vielmehr daran, dass ich mich noch mitten in dieser Zeit befand?
Meine Versetzung nach München war eine Art von Flucht gewesen, Flucht aus der Umgebung, die mich an die Trümmer meiner Ehe erinnerte, und aus dem Einflussbereich eines Mannes, mit dem mich zwar manches verband, der es aber verstanden hatte, mich an sich zu binden, als ich mich nicht mehr binden lassen wollte.
Es war auch die Flucht vor einem anderen Menschen gewesen, den ich verletzt hatte – gegen meine Absicht, aber unfähig, es nicht zu tun, als es an mir lag, zu ihm zu stehen und zu meiner Liebe zu ihm.
Es war eine Flucht vor mir selbst gewesen und sie dauerte immer noch an, wie ich nun wusste.