Ausstellung: Portraire Johannes Brus – Kevin Clarke – Kilian Saueressig 2. Oktober bis 31. Oktober 2021 im Bayerischen Nationalmuseum, München
Drei Künstler – drei Herangehensweisen – ein Thema: Das Porträt. Über Jahrhunderte machte diese Bildgattung unzählige Wandel durch und erfand sich immer wieder neu.
Drei aktuelle Beispiele für Mischformen aus Malerei und Fotografie vereint die Ausstellung „Portraire“. Präsentiert werden Künstler, deren Stil, Vorgehensweise und Lebensweg unterschiedlicher kaum sein könnten: Johannes Brus, Kevin Clarke und Kilian Saueressig.
Den größten Entwicklungssprung erlebte die Gattung Porträt mit Erfindung der Fotografie. Von Beginn an war das Bildnis das Lieblingsmotiv der Kamera. Dennoch bedeutete die zunehmende Verbreitung der neuen Technik, anders als seinerzeit befürchtet, nicht das Ende der Malerei. Vielmehr sorgte die Konkurrenzsituation dafür, dass sich die Malerei selbst revolutionierte und zum Kontrapunkt der hyperrealistischen Reproduktion der Welt wurde. Immer weiter entfernte sie sich von der natürlichen Darstellung. Später begann auch die Fotografie, sich durch Abstraktions- und Fragmentierungsprozesse von der Abbildung der Realität zu entfernen. Doch beide Medien sind immer wieder zur figurativen Darstellung zurückgekehrt und so behielt auch das Porträt stets seine herausgehobene Bedeutung. Darüber hinaus erfanden Künstler immer wieder die interessantesten Mischformen aus Malerei und Fotografie.
Dr. Frank Matthias Kammel, Generaldirektor des Bayerischen Nationalmuseums: „In unserem Haus, das großartige Porträts aus den Epochen der älteren Kunst beherbergt, birgt diese Einmischung der Gegenwart eine überaus spannende Inspiration und eine erfrischende Anfrage an unser Sehgewohnheiten.“
Manfred Möller, Kunstexperte, Verleger und Kurator der Ausstellung, ergänzt: „Das Medium Fotografie hat, ungeachtet aller Möglichkeiten zur Bildbearbeitung, noch immer den Anspruch auf eine objektive Abbildung der Wirklichkeit – oft ein mitunter gefährlicher Trugschluss. Den drei Künstlern Johannes Brus, Kevin Clarke und Kilian Saueressig aber geht es, dem lateinischen Wortursprung (protrahere) gemäß, in ihrer künstlerischen Arbeit um das Entdecken, das Offenbaren.“
Der Experimentelle: Johannes Brus
Johannes Brus (*1942), von 1986 bis 2007 Professor an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig, stellt mit seinen Skulpturen und Fotoarbeiten immer wieder Gattungsgrenzen und überkommene Konventionen infrage. Schon als Student an der Düsseldorfer Akademie, wo er in der Bildhauerklasse von Joseph Beuys mit dessen Erweiterten Kunstbegriff konfrontiert wurde, der den Sinn von Kunst als Tätigkeit hinterfragt, experimentierte Brus intensiv mit dem Medium Fotografie. Bis heute ganz der Analogfotografie verpflichtet, erschließt er sich in diesem Medium auch mit malerischen Mitteln immer wieder neue Möglichkeiten der Bildfindung. In seinem Fotolabor, das mehr einer Werkstatt gleicht, vollziehen sich komplexe Verwandlungsprozesse. Handwerkliche, künstlerische und wissenschaftliche Praktiken gehen hier ineinander über. Dabei arbeitet Brus bewusst mit dem Zufallsprinzip, lässt fotochemische Prozesse interagieren, die immer wieder zu überraschenden Ergebnissen führen. In einem Arbeitsprozess, der Außenstehenden willkürlich erscheinen mag, bearbeitet Brus seine fotografischen Vorlagen und erzielt durch das Zusammenspiel von Zufall und punktuellen Eingriffen in chemische Prozesse verblüffende Ergebnisse. Das Zusammenspiel von fotografischer Vorlage, Licht und Dunkelheit, Werkzeug, Chemie und Künstlerhand entzieht den Bildern ihre Eindeutigkeit und lässt etwas Neues, Fremdes entstehen. Das Ergebnis ist nur teilweise kalkulierbar und immer wieder überraschend. Mit seiner humoristischen Herangehensweise thematisiert der Künstler nicht nur das kulturelle Gedächtnis, er hinterfragt auch die Funktionen des Bildes.
Der Abstrakte: Kevin Clarke
Kevin Clarke (*1953) studierte Bildhauerei an der Cooper Union in New York. Während der Documenta 6 in Kassel lernte der New Yorker 1977 seinen späteren Freund und Mentor Josef Beuys kennen und war für viele Jahre sein Wegbegleiter. Nach seinem Studium wandte sich Clarke der konzeptuellen Fotografie zu und beschäftigt sich seit über 40 Jahren intensiv mit dem Porträt. Er kam zu der Erkenntnis, dass selbst das naturalistischste Bildnis nicht erfassen könne, was hinter der Erscheinung des Dargestellten liegt. Er wollte die Gedanken, Gefühle und die Geschichte der Porträtierten sichtbar machen und fand Ende der 1980er-Jahre die Lösung in den Naturwissenschaften, genauer in der Genetik. Seitdem entstehen seine „DNA-Portraits“, beispielsweise von Künstlerfreunden wie Jeff Koons, John Cage oder seinem Mentor Josef Beuys. Kevin Clarke entnimmt hierfür den Porträtierten Blut- oder Speichelproben und schickt sie zur DNA-Analyse in ein Labor. Die einzigartigen Linien, rhythmisierten Kurven oder Buchstabenfolgen der jeweiligen DNA, welche die gesamte Erbinformation der dargestellten Person beinhaltet, überträgt er auf seine Portraits. Diese DNA-Informationen kombiniert Clarke mit einer Metapher, die für die Persönlichkeit oder eine bestimmte Charaktereigenschaft des Models steht. Hierbei verweist er sowohl auf literarische Quellen als auch auf Aspekte der Wissenschaft. Dem Betrachter wird das Gesicht des Subjekts vorenthalten. Sein Aussehen bleibt stark abstrakt. Damit fordert der Künstler den Betrachtenden zur intellektuellen Mitarbeit heraus, um das Wesen, die Einzigartigkeit des Porträtierten zu erkennen.
Der Forscher: Kilian Saueressig
Kilian Saueressig (*1969) zeigt in der Ausstellung vor allem eindrucksvolle LichtWandSkulpturen, die nicht nur durch ihre Ausstrahlung, sondern auch durch ihre technische Ausführung faszinieren. In ihnen setzt sich der Künstler mit philosophischen, politischen, wissenschaftlichen, religiösen und gesellschaftlichen Themen auseinander, die das Leben im 21. Jahrhundert bestimmen und lädt die Betrachtenden dazu ein, es ihm gleichzutun. In seinen Porträts spielt Saueressig mit selbst entwickelten innovativen Verfahren zur Farb- und Formgebung, die über die derzeit bekannten Ansätze weit hinausgehen. Die strukturierten Lichtskulpturen werden ganz im Sinne der Nachhaltigkeit mit Materialien hergestellt, die frei von umweltschädlichen Stoffen sind. Hierauf legt der passionierte Erfinder und gelernte Maschinenbauingenieur besonderen Wert.
Saueressigs Arbeiten setzen sich aus zahlreichen übereinandergelegten Bildebenen zusammen, die jede für sich von LEDs erleuchtet werden. Sobald die interne Lichtquelle eingeschaltet und in Farbe und Helligkeit variiert wird, entstehen durch die sich überlagernden Bildmotive in den unterschiedlichen Ebenen immer neue Anmutungen. Der Betrachtende kann die LEDs mittels einer Fernbedienung selbst aktivieren und wird damit integraler Bestandteil des Kunstwerks. Es bieten sich unendlich viele Möglichkeiten, den Porträtierten ins „richtige Licht“ zu rücken. So sind Saueressigs Portraits die Reflexion des Portraitierten durch den Künstler und durch den Betrachter. Sie komprimieren das Leben eines Menschen, frieren den Moment ein und erwecken ihn immerzu neu. Das Abbild ist somit so dynamisch und vielfältig wie der Portraitierte selbst.