Rätsel um Evolution des Nervensystems. Viele Proteine mit gleichen Funktionen.

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Ein Team der Karl Landsteiner Privatuniversität Krems findet hohe Redundanz bei Proteinen, die die Vernetzung von Nerven und deren Signalübertragung beeinflussen

Krems, Österreich, 25. Oktober 2022 – Nicht nur drei, sondern sogar fünf Proteine haben wichtige Rollen bei der Bildung und Funktion von Synapsen und können sich gegenseitig ersetzen. Diese Entdeckung gelang einem Team des Forschungsschwerpunkts „Mental Health & Neuroscience“ der Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften Krems (KL Krems) und des CavX PhD-Programms der Medizinischen Universität Innsbruck. Die meisten dieser Proteine sind Teile von sogenannten Kalziumkanälen, und erst vor Kurzem war es Teammitgliedern gelungen, für drei der Proteine redundante Funktionen bei der Vernetzung und Signalübertragung von Nervenzellen zu entdecken. Dass es nun sogar noch zwei weitere Proteine (α2δ-4 und Cachd1) gibt, die gleiche Funktionen erfüllen können, überrascht und wirft Fragen zur Evolution des Nervensystems auf.

Ionenkanäle dienen im Nervensystem der Reizleitung, daher ist ihre Regulierung essenziell. Eine wichtige Rolle spielen dabei Proteine der α2δ-Gruppe (sprich „alpha-zwei-delta“). Sie bilden Teile von Kalziumkanälen und lange Zeit wusste man nur, dass sie Kalziumströme regulieren. Doch vor kurzem konnte Univ.-Prof. Dr. Gerald Obermair, Leiter des Fachbereichs Physiologie der KL Krems, mit seinem Team zeigen, dass drei der vier α2δ-Proteine auch großen Einfluss auf die Bildung von Synapsen haben – und sich bei dieser grundlegenden Funktion gegenseitig ersetzen können. Das sorgte für erhebliches Aufsehen, da α2δ-Proteine mit Erkrankungen wie Epilepsie, Autismus, Schizophrenie und Angstzuständen in Verbindung gebracht werden. Der Forschungsgruppe gelang es zu zeigen, dass sowohl das vierte der α2δ-Gruppe Proteine als auch noch ein weiteres, anderes Protein, nicht nur diesen Einfluss haben, sondern sogar die Signalübertragung beeinflussen.

Doppelt hält besser. Vielfach super.
Das nun untersuchte α2δ-4 findet sich im Gegensatz zu den bisher untersuchten α2δ-Proteinen (Isoformen -1, -2, -3) kaum im Gehirn, sondern kommt vorwiegend in der Netzhaut des Auges vor. Umso mehr überrascht das aktuelle Ergebnis, das Prof. Obermair erläutert: „Wir konnten in Zellkulturen zeigen, dass α2δ-4 sehr ähnliche Funktionen im Hirn haben kann wie die zuvor untersuchten Proteine α2δ-1 bis -3. Ja, dass sich alle Proteine sogar gegenseitig ersetzen können. Das erscheint verschwenderisch und ist evolutionär betrachtet bemerkenswert.“

Doch damit nicht genug. Das Team untersuchte auch ein als Cachd1 bezeichnetes Protein. Dieses hat zwar große strukturelle Ähnlichkeiten mit den α2δ-Proteinen, es ist jedoch noch unklar, ob es auch ein Teil von Ionenkanälen ist. Anders als α2δ-4 kommt es jedoch häufig im Gehirn vor und wurde bereits mit dessen Funktionen in Verbindung gebracht. Dies und seine Ähnlichkeit zu α2δ-Proteinen waren Grund genug, sich die Funktion von Cachd1 näher anzuschauen.

„Und tatsächlich“, führt Cornelia Ablinger, Erstautorin der Studie und Studierende im PhD-Programm CavX, aus, „zeigte sich, dass auch Cachd1 die Funktionen von α2δ-Proteinen übernehmen kann. Es kann also die Bildung von Synapsen modulieren und auch die Kanalfunktion beeinflussen.“ Doch weitere Experimente mit allen α2δ-Isoformen und Cachd1 zeigten auch, dass die Fähigkeit einander zu ersetzen nicht ohne feine Unterschiede kommt. So gelang es kleinste Unterschiede in den Kalziumströmen zu messen, die von den einzelnen Proteinen unterschiedlich moduliert werden. Ein Ergebnis, das Prof. Obermair zur hohen Redundanz der Proteine spekulieren lässt: „Es kann durchaus sein, dass sie im Laufe der Evolution nacheinander zugefügt wurden, um die Steuerung von Nervenreizen den Anforderungen immer komplexerer Organismen anzupassen.“

Experimentelle Herausforderung
Die überraschenden Ergebnisse wurden erst durch zehnjährige Vorarbeiten des Teams Obermair möglich. Tatsächlich war es gerade die Fähigkeit der α2δ-Proteine, sich gegenseitig zu ersetzen, die diese Vorbereitungen so herausfordernd machten, denn es musste ein zelluläres Nervenzellmodell geschaffen werden, in dem alle drei Gene für α2δ-1 bis -3 ausgeschaltet sind. Und das entpuppte sich als große Herausforderung, mit einer Erfolgsquote von unter 5 Prozent.

Doch, nachdem das Team – international viel beachtet – diese Hürde genommen hatte, stand der ergebnisreichen Arbeit nichts mehr im Wege. Die Entdeckung, dass nun sogar α2δ-4 und Cachd1 Einfluss auf die Synapsenbildung und -differenzierung nehmen, ist ein Ergebnis dieser langen Vorarbeit. Präzise Messungen der Kalziumströme einzelner Synapsen erbrachten den Nachweis, dass α2δ-4 und Cachd1 außerdem die Kanalfunktionen regulieren können. Am Forschungsschwerpunkt „Mental Health & Neuroscience“ der KL Krems sind so noch viele weitere Ergebnisse aus der Spitzenforschung zu erwarten.

Bilder auf Anfrage verfügbar

Originalpublikation: 2δ -4 and Cachd1 Proteins Are Regulators of Presynaptic Functions. C. Ablinger, C. Eibl, S. M. Geisler, M. Campiglio, G. J. Stephens, M. Missler & G. J. Obermair. Int. J. Mol. Sci. 2022, 23(17), 9885; https://doi.org/10.3390/ijms23179885

Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften (Stand 2022)
An der Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften (KL) in Krems ist die umfassende Betrachtungsweise von Gesundheit und Krankheit eine grundlegende Zielsetzung für Forschung und Lehre. Die KL stellt mit ihrem europaweit anerkannten Bachelor-Mastersystem eine flexible Bildungseinrichtung dar, die auf die Bedürfnisse der Studierenden, die Anforderungen des Arbeitsmarkts ebenso, wie auf die Herausforderungen der Wissenschaft abgestimmt ist. In den Studienrichtungen Medizin und Psychologie studieren aktuell rund 600 Studierende. Die drei Universitätskliniken in Krems, St. Pölten und Tulln gewährleisten eine klinische Lehre und Forschung auf höchstem Qualitätsniveau. In der Forschung konzentriert sich die KL auf interdisziplinäre Felder mit hoher gesundheitspolitischer Relevanz – u.a. der Medizintechnik, der molekularen Onkologie, der mentalen Gesundheit und den Neurowissenschaften sowie dem Thema Wasserqualität und den damit verbundenen gesundheitlichen Aspekten. Die KL wurde 2013 gegründet und von der Österreichischen Agentur für Qualitätssicherung und Akkreditierung (AQ Austria) akkreditiert.

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