Leseprobe aus „Der Schrei der Elster“ von Autorin Christine Erdiç
Verfasser: Kummer on Friday, 26 May 2023Brunhilde wusste, dass es gefährlich war. Die kleine Behausung lag am Rande der Stadt, und vorsichtshalber hatte sie die Fenster verdunkelt, um das Flackern der vier weißen Kerzen zu verbergen. Eine Kerze für jede Himmelsrichtung. Die etwa dreißigjährige Frau war mit einem weißen Gewand bekleidet und trug ihr langes dunkles Haar offen. Langsam erhob sie die Arme und sagte mit leiser anklagender Stimme: „Oh Hel, schau, was mit deinen Töchtern geschieht. Deine Wiege wird ihnen zum Grab und dein Weg ein glühender Pfad voller Schmerzen. Ich flehe dich an, im Namen Freyas, erhöre meine Bitte, und gib mir eine Antwort.“
Die Kerzen flackerten stärker, und durch die undichte Tür wehte ein kalter Wind. Das kleine Mädchen neben ihr hielt eine Schale mit Wasser hoch über den Kopf und fröstelte in ihrem dünnen Kleid aus grobem Leinenstoff. Das Haar reichte ihr bis an die Hüften und hatte fast den gleichen Farbton wie das naturfarbene Leinenkleid. Eine Sache, die in den Augen der Nachbarn seltsam war. Wie kam die Frau mit den dunklen Locken zu einem so hellhäutigen und blonden Kind?